Taiwan - ein Musterland der Entwicklung?

Prof. John-ren Chen/Chief/Universität Innsbruck

Die wirtschaftliche Entwicklung Taiwans ist in den letzten Jahrzehnten durch ein hohes wirtschaft­liches Wachstum gekennzeichnet. Im Zeitraum von 1963-92 betrug die durch­schnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts pro Kopf 7%. Außerdem verlagerte sich die Produktion von der Landwirtschaft (1952 noch 56% aller Beschäftigten) immer mehr zur Industrie. 1991 waren nur noch 13% aller Beschäftigten im primären Sektor tätig. Er hat heute einen Anteil am Bruttosozialprodukt von etwa 5%. Auch im Export drückt sich die wirtschaftliche Entwicklung Taiwans aus. 1952 wurden Waren im Werte von 112 Millionen US-Dollar exportiert, 1991 betrug der Wert 78,5 Milliarden US-Dollar. Heute werden vor allem Zwischenprodukte importiert, zusammengesetzt und dann wieder exportiert. Bei den ausländischen Investitionen liegt Taiwan in Vietnam an erster Stelle, in China an zweiter. Weitere Länder, in denen Taiwan investiert, sind Indonesien , Malaysia und die Philippinen.

Zu der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung haben mehrere Faktoren beigetragen:
1.) Die Japaner haben in der Zeit, in der sie Besatzungsmacht waren, die Infrastruktur Taiwans verbessert und ein Schulwesen sowie ein modernes Verwaltungssystem aufgebaut.
2.) Die USA haben Wirtschafts- und Militärhilfe geleistet.
3.) Private Initiativen haben zu vielen Neugründungen von Firmen geführt. Wenn es demgegen­über auch viele Konkurse gibt, so liegt deren Zahl doch vergleichsweise niedrig. Ein Problem könnten die vielen beschränkenden Gesetze darstellen; diese werden aber in der Regel durch Korruption umgangen.
4.) Anfang der 50er Jahre hat eine Bodenreform stattgefunden. Die Pachtzinsen wurden auf 37,5% des Ertrags beschränkt, und jeder durfte nur maximal 3 Hektar Land besitzen. Der Rest mußte verpachtet oder verkauft werden. Wie erfolgreich diese Maßnahmen waren, ist allerdings um­stritten. Immerhin wurden mehr Arbeitskräfte für die industrielle Produktion frei, und die Erspar­nisse wurden nicht mehr in so hohem Maße in Grund und Boden angelegt, sondern konnten in die Industrie investiert werden. Leider war dies nur ein kurzfristiger Effekt, da der hohe Anstieg der Bodenpreise den Grundstückskauf wieder interessant machte. Auf die Industrie wirkte sich das negativ aus, da Neubauten sich extrem verteuerten.
5.) Eine besonders schnelle Phase wirtschaftlicher Entwicklung Taiwans fand in den sechziger Jahren statt, als Kennedy die Bestimmungen für Importe aus Entwicklungsländern liberalisierte. Dadurch stiegen die Exporte in die USA stark an.

Die Kehrseite der ökonomischen Entwicklung sind die materiellen und immateriellen Kosten, die sich daraus ergeben:
1.) die zunehmende Umweltverschmutzung
2.) die korrumpierte Verwaltung: Beispielsweise werden viele Häuser gebaut, aber kaum eines nach den gesetzlichen Vorschriften. Da natürlich auch bestehende Umweltgesetze nicht einge­halten werden, führt dies zu einer weiteren Belastung der Umwelt. Außerdem ist eine ungleiche Einkommensverteilung entstanden zwischen denjenigen, die Bestechungsgelder an­nehmen können und denen, die in ihrem Beruf dazu keine Gelegenheit haben. In der offiziellen Statistik taucht diese ungleiche Einkommensverteilung nicht auf, da dort die Einkommen durch Bestechungsgelder selbstverständlich nicht berücksichtigt werden.
3.) die Verkehrsüberlastung und die Nichteinhaltung von Verkehrsregeln, die zu vielen Unfällen führen
4.) die hohen Bodenpreise: Wer Boden besitzt, ist gegenüber den anderen reich. Es sind jedoch relativ wenige, die Boden besitzen.
5.) die Kosten der nachhaltigen Entwicklung: Das heißt, daß nachfolgende Generationen die gleichen Chancen wie die heute lebenden Menschen haben sollen. In dieser Hinsicht ist Taiwan momentan gefährdet.


Exkurs zur Geschichte Taiwans:

Die taiwanesische Geschichte seit 1895 läßt sich in vier Epochen einteilen:

1895 - 1945 japanische Kolonie
1945 - 1975 Regierung von Tschiang-kai Tschek
1975 - 1988 Regierung von Tschiang-kai Tscheks Sohn
seit 1988 Demokratie unter Präsident Lee

Die Jahre von 1945 - 1988 können als Diktatur mit harter Unterdrückung bezeichnet werden. So wurden 1947 etwa 20.000 Taiwanesen, zum großen Teil Mitglieder der Elite, von den Truppen Tschiang-kai Tscheks umgebracht. In dieser Zeit mußten je 10 Haushalte füreinander bürgen. Wurde bekannt, daß einer etwas gegen die Regierung gesagt hatte, so trugen alle die Verantwortung dafür.

Offener Widerstand hat sich zuerst im Ausland organisiert. Die erste Demokratisierungs­bewegung in Taiwan selbst entstand erst 1979. Am 8. Dezember dieses Jahres gab es eine Demonstration gegen die Regierung. Diese wurde allerdings niedergeschlagen, und viele Oppositionspolitiker wurden verhaftet. Erst 1980 gab es erneuten Widerstand, den die Regierung nun nicht mehr zu unterdrücken wagte.

Auch heute noch nützt die Regierung jede Möglichkeit, an der Macht zu bleiben. So werden Stimmen gekauft, und es gibt Drohungen gegenüber Oppositionskandidaten, durch die schon mancher zum Rücktritt bewogen wurde.

Zum Schluß stellen sich zwei Fragen:
1.) Ist die Entwicklung in Taiwan unumkehrbar?
2.) Ist Taiwan ein Musterland der Entwicklung? Kann es also ein Beispiel für andere darstellen?

Auf die erste Frage antwortete der Referent mit "ja", unter der Bedingung, daß das Land unab­hängig bleibe. Um dieses Ziel zu unterstützen, wird versucht, eine Mitgliedschaft in der UNO zu erreichen. Die Regierung unterstützt dieses Vorhaben. Die zweite Frage mußte auf­grund der erheblichen Nachteile und Kosten, die in dem Vortrag beschrieben wurden, verneint werden.


Fragen der Zuhörer

1.) Wie unterscheidet sich Taiwan von den anderen "kleinen Tigern" Hongkong, Singapur und Korea ?

Die taiwanesische Wirtschaft ist durch eine Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmungen gekennzeichnet. Demgegenüber beherrschen in Korea vier große Konglomerate den Markt. In Korea greift außerdem der Staat sehr stark in die Wirtschaft ein. Solche Eingriffe kommen in Taiwan kaum vor oder werden durch Korruption umgangen. Hongkong ist allerdings weit liberaler als Taiwan . Auch die Zölle und Steuern sind hier sehr niedrig.


2.) Welchen Einfluß hat Japan auf Taiwan ?

Die meisten taiwanesischen Importe stammen aus Japan . Je mehr Taiwan exportiert, umso höher wird das Handelsbilanzdefizit gegenüber Japan .


3.) Wird China Taiwan besetzen?

China würde sich durch die Besetzung Taiwans wirtschaftliche Nachteile einhandeln. Es profitiert von dem Engagement taiwanesischer Geschäftsleute, da diese den Handel wesentlich effizienter abwickeln können. Chinesische Geschäftsleute benötigen für Geschäfte im Ausland eine Ausreisegenehmigung, deren Erteilung mehrere Wochen dauert. Zudem unterliegen sie im Ausland Devisenbeschränkungen. Schließlich sind sie meistens auch nicht so vertraut mit dem Markt, so daß sie die Präferenzen ihrer Kunden nicht genau genug kennen. Deshalb übernehmen Taiwanesen häufig den Export der Waren, die in China aufgrund der niedrigen Löhne billig hergestellt werden können. Der Erlös geht an Taiwan ; nur die Löhne gehen an China . Allerdings sind taiwanesische Investitionen in China nicht vom Staat geschützt. Des­halb werden viele Investitionen von Firmen in Drittländern abgewickelt, die einzig und allein für diese Aufgabe gegründet werden.


4.) Wie wird die zukünftige Entwicklung der taiwanesischen Wirtschaft gesehen?

Taiwan hat in der Vergangenheit ausrangierte Maschinen nach China exportiert, wo diese dann weiter verwendet wurden. In einer Phase danach wurden Gastarbeiter ins Land geholt, um die Löhne niedrig zu halten. Da die Löhne aber immer noch weiter steigen, ist für die Zu­kunft die Entwicklung der Technologie wichtig, um kapitalintensivere Produkte verkaufen zu können.


5.) Welche wirtschaftlichen Probleme bestehen in Taiwan ?

Bestimmte Sektoren der Wirtschaft, besonders die, in denen hohe Gewinne erzielt werden können, sind für Staatsfirmen reserviert. Diese Firmen werden zum Teil von ehemaligen Generälen geleitet, die keine Wirtschaftsexperten sind. Die Oppositionspartei will dies ändern.